Die Skalierung von Technologie in einem wachsenden Startup ist eine der größten Herausforderungen für Gründer und Tech-Leader. Doch was bedeutet Technologie skalieren wirklich? In einem tiefgehenden Gespräch teilen Stephan Schulze und Andy Stryz ihre Erfahrungen und geben taktische Ratschläge für Gründer und Operateure von Tech-Startups.
Diese Episode Scaling Technology entsteht in Zusammenarbeit mit SAP für Startups.
1. Technologie im Dienst des Business – nicht umgekehrt
Die Kernfrage:
Bevor du über Skalierung nachdenkst, musst du eine fundamentale Frage beantworten: Treibt Technologie dein Business voran oder ist sie nur eine Unterstützungsfunktion?
Stephan Schulze erklärt:
"Am Ende musst du sicherstellen, dass du Technologie hast, die dein Business maximal unterstützt. Das heißt nicht nur Server, Programmiersprache und Applikationen, sondern auch Prozesse, Hiring und Organisationen."
Taktische Empfehlungen:
Business-Verständnis priorisieren: Jeder Technologie-Entscheidung sollte eine klare Business-Begründung zugrunde liegen.
Vermeide "Engineering for the sake of Engineering": Die größte Gefahr für Tech-Teams ist es, technologisch perfekte Lösungen zu bauen, die keinen Business-Wert schaffen.
Maximaler Contribution to Business: Stelle sicher, dass jede technische Entscheidung auf den Geschäftserfolg einzahlt.
Andy Stryz warnt:
"Engineering for the sake of Engineering – ich halte das für die größte Gefahr. Wir Engineers leben das, auf Teil 17 runterzugehen, geile technische Lösungen zu bauen, und dann sterben wir in Schönheit."
2. Organisationsstruktur vor Infrastruktur
Die überraschende Priorität:
Viele Gründer denken bei Skalierung zuerst an Server und Cloud-Infrastruktur. Doch erfahrene Tech-Leader wissen: Die Organisationsstruktur ist entscheidender.
Andy Stryz betont:
"In dem Moment, wo jemand sagt, ich will ein Scalable Business, ist meine erste Frage: Wo ist das Org-Chart? Infrastruktur ist easy. Die Kunst ist herauszufinden, was braucht man wirklich, um maximalen Benefit für die Firma zu schaffen."
Taktische Empfehlungen:
Stage-abhängig denken: In der Seed-Phase brauchst du kein Org-Chart – ein gutes Team von 3-5 Leuten reicht.
Mission-Based Strukturen: Bei Finn wurde die Organisation mission-basiert aufgebaut, woraus sich klar ergab, welche Leute und welche Technologie benötigt werden.
API-First als Konsequenz: Die Entscheidung für eine API-First-Architektur ergab sich aus der Organisationsstruktur, nicht umgekehrt.
3. Monolith vs. Microservices: Der richtige Startpunkt
Der klassische Fehler:
Viele Startups beginnen mit einer überkomplexen Microservices-Architektur, obwohl sie nur ein kleines Team haben.
Stephan Schulze warnt:
"Ich habe immer wieder gesehen, dass Gründer mit einem Drei-Personen-Team anfangen und dann 50 Microservices bauen. Dann erstickst du jegliche Innovation, weil du nur noch damit beschäftigt bist, deine Services zu maintainen."
Taktische Empfehlungen:
Monolith als Startpunkt: Ein Monolith ist ein sehr guter Ausgangspunkt für kleine Teams.
Premature Optimization vermeiden: Optimiere nicht für eine Zukunft, die vielleicht nie kommt.
Fokus auf schnelle Iteration: In der frühen Phase musst du in der Lage sein, dein Business schnellstmöglich zu iterieren.
4. Die richtigen Leute einstellen
Der Balanceakt:Du brauchst erfahrene Seniors, die wissen, wie man durch den Dschungel kommt, kombiniert mit hungrigen Juniors, die einen klaren Entwicklungspfad haben.
Stephan Schulze erklärt:
"Der klassische Fehler: 'Hey, wir haben nicht viel Geld, lass uns Juniors und Praktikanten reinholen.' Drei Jahre später guckst du in die Firma und weißt genau, wer das gebaut hat. Dann fängst du an, noch drei Jahre aufzuräumen."
Andy Stryz ergänzt:
"Am Anfang hole ich mir gerne Leute, die ein bisschen wild unterwegs sind – Cowboy-Style, Delivery, Delivery, Delivery. Aber die müssen auch wissen, was sie tun."
Taktische Empfehlungen:
Reference Calls sind Pflicht: Bei Schlüsselpositionen auf keinen Fall ohne Reference Calls einstellen.
Klare Scorecard definieren: Wissen, welches Profil in der aktuellen Phase der Firma benötigt wird.
Career Development Framework: Ein klarer Entwicklungspfad für Juniors verhindert, dass man mit "mediocren" Leuten stuck ist.
5. Die entscheidende Metrik: Deployment Pipeline Health
Die eine KPI, die alles verrät:
Andy Stryz hat eine ungewöhnliche, aber effektive Metrik identifiziert: Wie schnell wird die Deployment-Pipeline repariert, wenn sie kaputt geht?
Andy Stryz erklärt:
"Wenn die Pipeline kaputt ist, wie schnell wird das gefixt? Der Klassiker: Vor dem Mittagessen geht die Pipeline kaputt, alle gehen erstmal zum Mittagessen. Bei mir ist das komplett Meltdown."
Weitere wichtige Metriken:
Deployment-Länge: Idealerweise sollte Code innerhalb von 5 Minuten produktiv sein.
Deployment-Frequenz: Je schneller du Sachen zum Kunden bringen kannst, umso schneller kannst du Wert generieren.
Fehlerratio: Wie oft schlägt die Pipeline fehl?
Stephan Schulze ergänzt:
"In einem Portfolio-Unternehmen dauerte das Deployment eine Stunde. Der Entwickler drückte den Knopf, ging zum Mittagessen, kam wieder und schaute: durchgelaufen oder kaputt. Bei 40 Leuten im Team kannst du maximal zehnmal pro Tag deployen – das reicht nicht."
6. Der 10X-Ansatz: Erst manuell, dann automatisieren
Das Prinzip:
Bevor du automatisierst, mache den Prozess erst manuell – einmal, dann zehnmal, dann hundertmal. So verstehst du wirklich, was passiert.
Andy Stryz beschreibt:
"Du nimmst einen komplexen Prozess und machst das erstmal manuell mit einem Auto. Dann mit 10 Autos. Dann kommt 10X, 100X, 1000X. Ich stelle mir das vor wie einen Tunnel bohren: Erstmal ein kleines Löchlein mit einem Laser, nicht sofort mit dem Diamantenbohrer, der Millionen Euro pro Tag kostet."
Taktische Empfehlungen:
Do it, do it automated: Erst manuell machen, dann automatisieren.
Simplicity first: Wenn etwas komplex erscheint, wurde nicht genug nachgedacht, um es einfach zu machen.
Volume als Trigger: Erst wenn das Volumen erreicht ist, wird in Code "gebacken".
Andy Stryz betont:
"Die meisten Projekte schaffen es niemals, die Skalierung zu erreichen, weil es gar nicht notwendig ist. Wir denken immer, wir müssen diese Durchsätze erreichen. Am Ende realisierst du: brauchst du gar nicht."
7. Buy vs. Build: Die richtige Entscheidung treffen
Das Prinzip:
"We buy commodities, we build assets."
Andy Stryz erklärt:
"Würde ich mir eine Kuh kaufen, um selber meinen eigenen Käse herzustellen? Die Value Chain ist ein bisschen lang. Am Ende: Headless CMS – wie viele gibt es auf dem Markt? 100. Wie viele sind mir bekannt? 5. Why not?"
Stephan Schulze ergänzt mit dem Konzept "Core und Context":
"Core ist das, wofür mich meine Kunden bezahlen. Kontext ist alles drumherum. Bezahlen mich meine Kunden dafür, dass ich das beste CMS habe? Wahrscheinlich nicht. Das kaufe ich ein. Wo habe ich die wirkliche Wertschöpfung? Das baue ich selber."
Taktische Empfehlungen:
Im Zweifel einkaufen: Standardlösungen für Standardprobleme nutzen.
Von Anfang an verhandeln: SaaS-Tools werden immer nur teurer. Ab 500 Euro pro Monat wird bei Finn sofort verhandelt.
Techies als Verhandler: Nach Negotiation-Training sind Techies oft die besten Verhandler – rational, ohne Emotionen.
8. Technische Schulden richtig managen
Die deutsche Perspektive:
Das Wort "Schulden" löst bei Deutschen oft Panik aus. Doch technische Schulden sind per se nichts Schlechtes.
Andy Stryz erklärt:
"Schulden sind Probleme, die du nicht abbezahlst. Wenn du Schulden aufnehmen kannst mit 3% Interest Rates und hast 20% Marge – do it. Und dann sorg dafür, dass du die schnell abbezahlst."
Taktische Empfehlungen:
Schulden bewusst aufnehmen: Am Anfang ist das Geld noch günstig und das Business weniger im Risiko.
Regelmäßig "spülen": "Sometimes you have to flush the toilet" – alle paar Jahre muss aufgeräumt werden.
Klare Kommunikation: Wenn größere Infrastrukturänderungen nötig sind, offen kommunizieren und planen.
9. Kommunikation gebetsmühlenartig wiederholen
Die unterschätzte Aufgabe:
Vision, Mission und Strategie können nicht oft genug kommuniziert werden.
Stephan Schulze betont:
“Mein Credo war immer: Ich muss meinen Junior-Entwickler nachts um drei anrufen können und fragen: Was ist unsere Mission, Vision und wie zahlt das, was du gerade tust, darauf ein? Wenn die Leute das können, hast du es richtig gemacht."
Andy Stryz bestätigt:
"Das wird gebetsmühlenartig wiederholt. Das kannst du nicht überkommunizieren. Vor allem auch in den Leadership-Teams – alle zwei Wochen und dann in den One-on-Ones: Wie haben wir jetzt darauf eingezahlt?"
10. Die kritische Phase: 20-40 Mitarbeiter
Der Wendepunkt: Die schwierigste Phase in der Skalierung liegt oft zwischen 20 und 40 Mitarbeitern.
"Am Anfang hast du diese Cowboy-Style-Leute. Dann kommen die Prozesse, Leute die mehr Struktur brauchen – die sind essential für deinen Ramp-up. Diese Transition-Phase, da wird einmal die Suppe gedreht. Da muss man höllisch fokussiert sein als C-Level."
Stephan Schulze ergänzt mit Dunbar's Numbers:
"Bei 15, 50 (Mitarbeitenden) und weiteren Schwellen sind es immer Knackpunkte. Wenn du in diese Größen kommst, musst du die nächste Iteration deines Organisationsmodells gehen."
Taktische Empfehlungen:
Proaktiv planen: Wenn du weißt, dass starkes Wachstum kommt, tritt einen Schritt zurück und plane.
10X denken: Was passiert, wenn ich in sechs Monaten 90 Leute einstellen muss? Was bricht bei Verzehnfachung?
Change is good: Akzeptieren, dass die Firma jedes Jahr eine neue ist.
Fazit: Skalierung ist mehr als Technologie
Die wichtigsten Erkenntnisse für das erfolgreiche Technologie skalieren:
Business first: Technologie muss dem Business dienen, nicht umgekehrt.
Menschen vor Maschinen: Die Organisationsstruktur ist wichtiger als die Infrastruktur.
Einfach starten: Monolith vor Microservices, manuell vor automatisiert.
Die richtigen Leute: Erfahrene Seniors kombiniert mit hungrigen Juniors.
Schnelle Deployments: Die Pipeline-Health ist die wichtigste Metrik.
Buy over Build: Im Zweifel einkaufen, nur den Kern selbst bauen.
Schulden managen: Technische Schulden bewusst aufnehmen und abbezahlen.
Kommunizieren: Vision und Strategie gebetsmühlenartig wiederholen.
Schick mir gerne jederzeit dein Feedback,
Fabian & dein Unicorn Bakery Team

